Die Bildungsstandards verlangen, dass das schriftliche Additionsverfahren nicht nur ausgeführt, sondern auch von den Kindern verstanden werden soll (vgl. KMK 2005, S. 9).

Auf dieser Seite erfahren Sie, welche Kompetenzen und Schwierigkeiten Schüler bei der Erläuterung des Verfahrens der schriftlichen Addition haben können. Anhand einiger Beispiele aus insgesamt 137 Schülerdokumenten, die im Rahmen einer Untersuchung zur schriftlichen Addition mit sechs Schulklassen (vier Klassen der Jahrgangsstufe 3 und zwei Klassen der Jahrgangsstufe 4, jeweils im 2. Schulhalbjahr) erhoben wurden, werden Einblicke in das Verständnis der Schüler gegeben.

Weiterhin können Sie Ihr Wissen über typische Fehler bei der schriftlichen Addition vertiefen und an ausgewählten Schülerdokumenten Ihre Diagnosefähigkeiten unter Beweis stellen.

Was bedeutet die kleine Eins?

„Was bedeutet die kleine „1" bei den Hundertern?"

Diese Aufgabe wurde Kindern im Rahmen einer Studie von Tenbergen und Transchel (2010) nach Einführung der schriftlichen Addition vorgelegt.

Fabians Lösung

Lauras Lösung

Eigenaktivität

  • Welche Kompetenzen zeigen Fabian und Laura bei der Lösung dieser Aufgabe?
  • Welches Verständnis zum Übertrag haben die zwei Kinder?

Eine Anregung zur Beantwortung dieser beiden Fragen bekommen Sie im 4. Abschnitt „Die Bedeutung des Übertrags"

Hintergrundwissen: Das Verfahren der schriftlichen Addition

Die schriftliche Addition ist für viele Kinder die unkomplizierteste der vier schriftlichen Rechenverfahren (vgl. Padberg & Benz 2011, S. 229). Sie lernen sie etwa in der Mitte des 3. Schuljahres kennen.

Zugleich ist es der erste komplexe Algorithmus, mit dem die Kinder in Kontakt treten. Trotz des niedrigen Schwierigkeitsgrads müssen die Kinder einige Voraussetzungen mitbringen, um den Algorithmus zu erlernen. Sie sollten die Aufgaben des kleinen Einspluseins beherrschen und ein tiefes Verständnis des Bündelungsprinzips besitzen, um das Verfahren ausführen zu können.

Weiterhin förderlich für das Erlangen eines korrekten Ergebnisses ist eine ausgeprägte Vorstellung von der Größenordnung der Zahlen und die Kompetenz des Überschlagsrechnens (vgl. Padberg & Benz 2011, S. 232 f.). 

So fordert z.B. der Lehrplan für das Land NRW, dass die Kinder die schriftlichen Rechenverfahren, insbesondere die schriftliche Addition, „[...] auf der Grundlage tragfähiger Zahl- und Operationsvorstellungen sowie verlässlicher Kenntnisse und Fertigkeiten verständig ausführen" (MSW NRW 2008, S. 58).

Das verständige Ausführen kann im Unterricht dadurch erreicht werden, dass die schriftliche Addition aus der den Kindern bereits bekannten halbschriftlichen Additionsstrategie „Stellenwerte Extra" abgeleitet wird (vgl. halbschriftliche Addition), indem an einer exemplarischen Aufgabe die halbschriftliche Rechnung mit dem schriftlichen Algorithmus verglichen wird, „so wird der Zusammenhang zwischen beiden Wegen gut sichtbar" (Padberg & Benz 2011, S. 225).

Schwierigkeiten und typische Fehler

Fehler und Probleme mit der schriftlichen Addition erfassen

Die schriftliche Addition ist gegenüber den übrigen schriftlichen Rechenverfahren weniger fehleranfällig. So beträgt die durchschnittliche Fehlerquote nur etwa 5% (vgl. Gerster 1982, S.28). Obwohl die Fehlerquote relativ gering ist, gibt es dennoch durchaus typische Fehler, die beim schriftlichen Additionsalgorithmus begangen werden.

Auf diese sollte frühzeitig geachtet werden, da sich ansonsten Fehlerstrategien bei den Schülern festigen. Oft werden diese Fehlerstrategien im Unterricht nur selten bemerkt. Daher ist es unverzichtbar, dass die Lehrkraft mittels diagnostischer Aufgabenserien im Rahmen einer Standortbestimmung die Lernstände der Kinder bzgl. des Verständnisses und der individuellen Probleme bei der schriftlichen Addition erfasst.

Aufgrund dieser Analysen können gezielte Fördermaßnahmen ergriffen und weitere Unterrichtsaktivitäten individueller auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten werden.

Für die Konzeption einer Standortbestimmung zur schriftlichen Addition ist es von großer Bedeutung, Aufgaben zu wählen, die spezielle Fehler und Schwierigkeiten sichtbar machen, d.h. sie geradezu provozieren. Im Rahmen einer Bachelorarbeit von Tenbergen und Transchel (2010) wurde eine solche Standortbestimmung konstruiert.

Sie enthielt u.a. die unten dargestellten acht Aufgaben zur schriftlichen Addition (hier finden Sie eine Abbildung der kompletten Standortbestimmung). Jede Aufgabe beinhaltet spezifische Schwierigkeiten für die Kinder.

Eigenaktivität

Betrachten Sie die einzelnen Aufgaben aus der Standortbestimmung. Mit welchen Schwierigkeiten werden die Kinder jeweils konfrontiert?

Eine Analyse der provozierten Schwierigkeiten einer jeden Aufgabe finden Sie hier. 

Fehlertypen nach Gerster

Gerster (1982) hat in einer Studie typische Fehler bei der schriftlichen Addition herausgestellt. Folgende Rechenfehler werden bei ihm genannt:

 

Fehler beim Einsundeins

,,Bei diesem Fehler verrechnet sich das Kind beim Ergebnis der einzelnen Teiladditionen. Am häufigsten ereignet sich dabei der Rechenfehler um 1."

Fehler mit der Null

,,Die Kinder schreiben bei Additionsaufgaben mit 0 in einem der Summanden stets das Ergebnis 0 hin."

Fehler durch unterschiedliche Stellenanzahl

,,Dieser Fehler bewirkt, dass die Kinder im Ergebnis keine Ziffer hinschreiben, sobald einer der Summanden eine leere Stelle (überstehende Ziffer) vorne besitzt."

Fehler durch inverse Operation

,,Bei diesem Fehler ermitteln die Kinder das Ergebnis nicht durch einzelne Additionsaufgaben, sondern Subtraktionsaufgaben. Sie berechnen die Teilergebnisse nach der Ergänzungsmethode durch Hinaufaddieren."

Fehler durch Perseveration

,,Bei diesem Fehler haben einzelne Elemente in einem Denkablauf der Kinder eine dominante Stellung eingenommen. So kann z.B. eine Ziffer der Summanden bei der Berechnung der Teilergebnisse eine dominante Rolle im Teilergebnis einnehmen. Ein weiterer Perseverationsfehler ist dadurch bedingt, dass sich die Übertragsziffer gegenüber den Summandenziffern bei der Notation des Teilergebnisses durchsetzt."

Darüberhinaus gibt es nach Gerster (1982) einige typische Fehler und Schwierigkeiten bei den Überträgen. Bei sogenannten Übertragsfehlern können vier Arten unterschieden werden:

Übertrag in allgemeinen Fällen nicht berücksichtigt

„Die Kinder berücksichtigen den Übertrag nicht, auch wenn die Übertragsziffer notiert wurde."

Übertrag in besonderen Fällen nicht berücksichtigt

,,Die Kinder notieren keinen Übertrag zur Null, zur Neun, in eine leere Stelle oder in eine zusätzliche Stelle."

Fehlermuster Übertragsziffer zu viel

,,Die Kinder sind bei der Entscheidung, ob eine Übertragsziffer erforderlich ist oder nicht, sehr unsicher. Somit kann es auch dazu kommen, dass sie eine Übertragsziffer zu viel notieren."

Falsches Operieren mit einer Übertragsziffer

,,Die Kinder berücksichtigen die Übertragsziffer, operieren aber falsch mit ihr. So kann es vorkommen, dass sie den Übertrag in eine falsche Stelle notieren."

Tenbergen und Transchel (2010) haben die individuellen Bearbeitungen der obigen acht Aufgaben zur schriftlichen Addition von 137 Kindern detailliert ausgewertet.

Eigenaktivität

Was vermuten Sie, wie viele Fehler begangen wurden und welche Fehler gehäuft aufgetreten sind?

Die zentralen Ergebnisse der Fehlerhäufigkeit dieser 137 Kinder finden Sie hier.

 Fehler gehören zum Lernprozess dazu. Sie sind Konstruktionsversuche auf der Basis vernünftiger Überlegungen und liefern wertvolle Einsichten in die Denkweisen der Kinder (vgl. MSW NRW 2008, S.55). Um die Fehlertypen der Kinder als Lehrkraft besser unterscheiden und schneller entdecken zu können, sollen Sie im Folgenden Ihre Diagnosefähigkeit anhand von Schülerdokumenten weiter schulen.



Betrachten Sie die oben abgebildeten Schülerlösungen und versuchen Sie, diese den Fehlertypen nach Gerster (1982) zuzuordnen. 

DieBenennung der Fehlertypen zu den einzelnen Schülerlösungen und eine ergänzende Erklärung finden Sie hier.

Die Bedeutung des Übertrags

Nach Gerster (1982) sind etwa die Hälfte der Schülerfehler Übertragsfehler. Um Aufschluss darüber zu bekommen, inwieweit Kinder die Bedeutung des Übertrags verstanden haben, und inwieweit sie diese verbalisieren können, wurden die Kinder im Rahmen der oben bereits erwähnten Standortbestimmung (vgl. Tenbergen & Transchel 2010) gebeten zu erklären, was der Übertrag bedeutet (eine Abbildung der Standortbestimmung finden Sie hier).

Von den 137 Kindern haben 124 diese Aufgabe bearbeitet. Die Antworten der Kinder können in vier Kategorien eingeteilt werden.

 

1. Korrekt begründend (33%)

(Für eine größere Ansicht auf die Bilder klicken)

Ziffernvorstellung (80%):

Svenja (4. Klasse)

Svenja erklärt den Übertrag mit der Zehner-Überschreitung im vorhergehenden Stellenwert. Bei ihr dominiert die Ziffernvorstellung der Ergebnisse innerhalb eines Stellenwerts.

Zahlvorstellung (20%):

Katja (3. Klasse)

Katja erklärt den Übertrag mit der Überschreitung des Hunderters in der Zehnerspalte. Bei ihr dominiert die Vorstellung der Ergebnisse als ganze Zahl.

 

2. Beschreibend (27%)

Sven (3. Klasse)

 Sven nennt nicht ausdrücklich die Zehner-Überschreitung als Ursache für den Übertrag, sondern beschreibt, was man mit einer zweistelligen Zahl im Ergebnis machen muss.

 

3. Bezug zum Stellenwert (13%)

Philipp (3. Klasse)

Philipp deutet den Übertrag nur in Bezug zum Stellenwert und stellt keine Verbindung zum vorhergehenden Rechenschritt her, aus dem der Übertrag resultiert.

 

4. Kein Bezug zur Bedeutung des Übertrags (27%)

Sebastian (3. Klasse)

 Sebastian geht nicht auf die Bedeutung oder Ursache des Übertrags ein.

Zum Verständnis des Algorithmus der schriftlichen Addition

Im heutigen Mathematikunterricht sollte nicht das sichere Beherrschen und Anwenden des Algorithmus im Vordergrund stehen, sondern das Verständnis des Verfahrens. Deshalb sollten Lehrkräfte Aufgaben einsetzen, die der Förderung des Verständnisses dienen und nicht nur dem mechanischen Einüben des Verfahrens.

Eine Möglichkeit, um das Verständnis des schriftlichen Additionsalgorithmus zu überprüfen, ist, die Kinder aufzufordern, die Funktionsweise der schriftlichen Addition mit eigenen Worten zu beschreiben. So kann man einen Eindruck davon bekommen, inwieweit die Kinder den Algorithmus verstanden haben und diesen verbalisieren können.

Hierzu haben Tenbergen & Transchel (2010) Kindern folgende Rechenaufgabe eines anderen Kindes namens Tim vorgelegt und sie gebeten, anhand dieser Rechnung von Tim zu erklären, wie er rechnet:

Tim hat diese Aufgabe gerechnet:

Erkläre, wie Tim gerechnet hat.

Die Beschreibungen der Kinder können in drei Kategorien eingeteilt werden, deren Kriterien im Folgenden kurz erläutert werden:

1. Kategorie: Ausführliche Erklärung

Jeder Schritt des Algorithmus wird anhand der konkreten Zahlenwerte erläutert. Der Übertrag wird erwähnt und ggf. erklärt.

2. Kategorie: Allgemeine Beschreibung

Es werden die Rechenschritte anhand der Benennung der Stellenwerte dargestellt.

3. Kategorie: Unvollständige Beschreibung

Der Algorithmus des schriftlichen Rechenverfahrens wird nicht erläutert.

 

Schülerbeispiele für die drei Kategorien

Von den 137 Kindern haben 134 diese Aufgabe bearbeitet. Die Verteilung der Antworten ist in Klammern angegeben.

 

1. Ausführliche Erklärung (44%)


Katharina (3. Klasse)

Katharina beschreibt die einzelnen Rechenschritte des Algorithmus ausführlich anhand der konkreten Zahlenwerte. Des Weiteren erwähnt sie den Übertrag und erklärt, wie dieser aufzuschreiben ist. 

2. Allgemeine Beschreibung (31%)


Burak (4. Klasse)

Burak beschreibt die Rechenschritte des Algorithmus mit Hilfe der allgemeinen Benennung der Stellenwerte. Auf den Übertrag geht er jedoch nicht ein. 

3. Unvollständige Beschreibung (25%)


Stefan (4. Klasse)

Stefan geht nicht auf die einzelnen Rechenschritte des Verfahrens ein, sondern bezieht sich nur auf die beiden Zahlen, die addiert werden. 

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Halbschriftliche Addition
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Wollen Sie mehr über die Funktionsweise des schriftlichen Algorithmus erfahren, dann schauen Sie hier nach.

Hier finden Sie Anregungen zu Aufgaben, die das Verständnis der schriftlichen Addition fördern.

 

Materialien zum Thema 'Rechnen auf eigenen Wegen' sowie 'Vom halbschriftlichen zum schriftlichen Rechnen' finden Sie auf der Website des Projekts PIK AS in PIKAS: Haus 5: Individuelles und gemeinsames Lernen.

 

Auf der Homepage des Projekts PriMakom („Primarstufe Mathematik kompakt“) erfahren Sie, wie Sie das sogenannte Dienesmaterial (primakom: Übergreifendes: Prinzipien: Materialeinsatz: Einstieg) (oder auch Mehrsystemblöcke) zur Veranschaulichung der schriftlichen Rechenverfahren einsetzen können. Darüber hinaus finden Sie auf dieser Selbstlernplattform, die in erster Linie für fachfremd unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer eingerichtet wurde, weitere kompakt dargestellte Informationen zum Material.

Material

Standortbestimmung zur schriftlichen Addition

Literatur

© Lisa Tenbergen und Sabrina Transchel für das KIRA-Team