Zur Verdeutlichung der halbschriftlichen Additionsstrategien werden im Folgenden typische Charakteristika anhand von Videos und Schülerdokumenten präsentiert, die Ihnen eine genauere Beobachtung ermöglichen und somit den Einblick in die Vorgehensweisen der Schülerinnen und Schüler erleichtert. Auch werden Ihnen typische Schwierigkeiten bei der halbschriftlichen Addition vorgestellt.

Halbschriftliches Rechnen: Eine Aufgabe - viele Lösungswege

Wir haben Grundschulkindern die Aufgabe 19 + 39 gestellt. Die drei Kinder Timo, Julius und Sabrina haben diese Aufgabe auf sehr verschiede Arten gelöst.

Schülerlösung von Timo: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 19 plus 39: „20 plus 40 = 60, 60 minus 2 = 58. 19 plus 39 = 58“.
Timo

Schülerlösung von Julius: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 19 plus 39: „10 plus 39 = 49, 49 plus 9 = 58. 19 plus 39 = 58“.
Julius

Schülerlösung von Sabrina: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 19 plus 39: „10 plus 30 = 40, 9 plus 9 = 18. 19 plus 39 = 58“.
Sabrina

Eigenaktivität

Verstehen Sie, wie die Kinder gerechnet haben? Sie können Ihre Einschätzung überprüfen, indem Sie sich das entsprechende Video ansehen.

 Hintergrundwissen: Halbschriftliches Rechnen

Traditionell unterscheiden wir in der Mathematik zwischen drei Hauptmethoden des Rechnens: dem mündlichen, dem halbschriftlichen und dem schriftlichen Rechnen. Als weitere Methode wird heute auch die Berechnung von Aufgaben mithilfe des Taschenrechners hinzu gezählt.

Alle Methoden haben Vor- und Nachteile (vgl. Sundermann & Selter 1995). Schülerinnen und Schüler sollten im Verlauf der Grundschulzeit lernen, sie abhängig von der Aufgabe, aber auch von eigenen Präferenzen flexibel einsetzen zu können (vgl. Selter 1999).

Beim halbschriftlichen Rechnen werden im Kopf durchgeführte Berechnungen durch schriftliche Aufzeichnungen unterstützt. Man spricht daher auch von gestütztem Kopfrechnen (vgl. Radatz u.a. 1998, S. 42).

Das zentrale Kennzeichen des halbschriftlichen Rechnens ist (wie die obigen Beispiele zeigen) das Zerlegen von Aufgaben in leichtere Teilaufgaben. Einzelne Rechenschritte werden notiert, bis am Schluss das Ergebnis ermittelt ist (vgl. Selter 1999, S. 6). Da die Kinder beim halbschriftlichen Rechen mit Zahlenganzheiten und nicht mit Ziffern rechnen, ordnet man es ebenso wie das mündliche Rechnen dem Zahlenrechnen zu.

Das halbschriftliche Rechnen ist im Wesentlichen durch drei spezifische Charakteristika gekennzeichnet, die auch beim Lösen von Additionsaufgaben zu beobachten sind und im Folgenden anhand des Einführungsvideos verdeutlicht werden:

1. Die Rechenwege sind beim halbschriftlichen Rechnen im Gegensatz zu den schriftlichen Algorithmen nicht verbindlich vorgegeben. So sieht man in dem Einstiegsvideo, dass Sabrina und Julius zwei sehr unterschiedliche Zerlegungen der Zahlen nutzen, um das Ergebnis zu ermitteln. (Eine Übersicht zu häufig genutzten Strategien finden Sie im 4. Abschnitt.)

2. Die Notationsweise ist ebenfalls nicht festgelegt. Die Kinder notieren, wie es bei Julius Vorgehen zu sehen ist, nicht unbedingt alle Teilschritte. Das Notieren der Schritte dient lediglich als Merkhilfe. Welche Schritte die Kinder notieren bleibt ihnen selbst überlassen.

Dies führt teilweise dazu, dass das Vorgehen der Kinder nicht immer nachvollziehbar ist und daher erfragt werden muss. (Im 5. Abschnitt finden Sie Beispiele, die verschiedene Notationsweisen zu einer Aufgabe illustrieren.)

3. Welche Lösungsstrategie besonders sinnvoll ist, hängt von der jeweiligen Aufgabe ab. Es ist beispielsweise wenig sinnvoll, 399 +141 in Stellenwerte zu zerlegen. Die Kinder sollen im Unterricht daher vielmehr eine Reihe von Strategien kennenlernen und diese in Abhängigkeit von der gegebenen Aufgabenstellung und der eigenen Präferenz flexibel einsetzen können. Man spricht in diesem Kontext häufig vom Flexiblen Rechnen (vgl. Selter 1999).

Im Einstiegsvideo lässt sich bei Timo erkennen, dass er die Wahl seiner Lösungsstrategie an die Aufgabe anpasst. (Im 6. Abschnitt können Sie anhand von Videos die Vorgehensweisen von Kindern bei verschiedenen Aufgaben genauer betrachten und beobachten, inwiefern die Kinder Strategien flexibel anwenden).

Eigenaktivität

Additionsaufgaben halbschriftlich lösen

  1. Lösen Sie die Aufgaben 19 + 39 und 399 + 473 halbschriftlich und beschreiben Sie Ihren Rechenweg.
  2. Welche weiteren Möglichkeiten könnte es geben, um das Ergebnis zu ermitteln?  Notieren Sie diese ebenfalls und versuchen Sie, ihren Vorgehensweisen aussagekräftige Namen zu geben.
  3. Vergleichen Sie Ihre Lösungswege (wenn möglich) mit anderen. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken Sie?

Typische Vorgehensweisen bei der halbschriftlichen Addition 

Obwohl die Rechenwege beim halbschriftlichen Rechnen nicht vorgeschrieben werden, sind diese keineswegs willkürlich. Wenn die Lösungen der Kinder einen bevorzugten Rechenweg erkennen lassen, so nutzen sie häufig eine der Hauptstrategien des Zahlenrechnens.

Dabei unterscheidet man beim halbschriftlichen Rechnen zwischen einem stellen- oder schrittweisen Vorgehen oder dem Nutzen von Ableitungsstrategien.

Für die Addition ergeben sich, beispielhaft konkretisiert für den Tausenderaum, die folgenden Vorgehensweisen:

 

1. Stellen extra (auch: Stellenweise)

Beide Summanden werden in Stellenwerte zerlegt:
Z+Z, dann E+E,
oder
E+E, dann Z+Z
Anschließend wird die Gesamtsumme ermittelt.

Beispiel:

Schülerlösung von Paul: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 399 plus 473: „300 plus 400 = 700, 90 plus 70 = 160, 9 plus 3 = 12. 399 plus 473 = 872“.
Paul

 

2. Schrittweise

Ein Summand wird in der Regel in seine Stellenwerte zerlegt:
ZE+Z dann +E
oder
ZE+E dann +Z

Beispiel:

Schülerlösung von Özge: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 399 plus 473 „399 plus 400 = 799, 799 plus 70 = 869, 869 plus 3 = 872“.
Özge

 

3. Vereinfachen

Vereinfachungen werden beispielsweise durch das gegensinnige Verändern der beiden Summanden vorgenommen. Demnach rechnen die Kinder unter Ausnutzung von Konstanzgesetzen eine einfachere Aufgabe, die aber das gleiche Ergebnis wie die eigentliche Aufgabe hat.

Beispiel:

Schülerlösung von Can: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 399 plus 473 „400 plus 472 = 872. 399 plus 473 = 872“.
Can

 

4. Hilfsaufgabe

Die Kinder suchen sich ähnliche Aufgaben, bei denen es leichter ist das Ergebnis zu ermitteln und verändern eine Zahl (oder beide Zahlen) zum vollen Zehner. Dann erfolgt eine nachträgliche Korrektur.

Beispiel:

Schülerlösung von Ali: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 399 plus 473 „400 plus 473 minus 1 = 872. 399 plus 473 = 872“.
Ali

 

5. Mischform aus Stellen extra und Schrittweise

Beide Summanden werden zunächst in Stellenwerte zerlegt, die Zehner oder Einer miteinander verknüpft, dann folgt schrittweises Vorgehen:
Bsp.: erst Z+Z, dann E1, dann E2

Beispiel:

Schülerlösung von Tim: halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 399 plus 473 „90 plus 70 = 160, 160 plus 9 = 169, 169 plus 3 = 172, 172 plus 300 plus 400 = 872. 399 plus 473 = 872“.
Tim

 

Typische Vorgehensweisen bei der halbschriftlichen Addition

Eigenaktivität

Zur Vertiefung

  1. Betrachten Sie erneut Ihre Lösungsstrategien und ordnen Sie Ihre Vorgehensweisen in die obige Tabelle ein. Begründen Sie Ihre Zuordnung.
  2. Unten finden Sie weitere Kinderdokumente. Ordnen Sie diese den genannten Strategien zu.

AB Zuordnung Hauptstrategien halbschriftliche Addition

Sollten Sie Schwierigkeiten bei der Zuordnung haben, so finden Sie hier einen Vorschlag für die Einordnung der Schülerlösungen:

Lösungen AB Zuordnung Hauptstrategien halbschriftliche Addition 

Typische Fehler bei der halbschriftlichen Addition

Beim halbschriftlichen Lösen von Additionsaufgaben treten einige Fehler vermehrt auf. Meseth & Selter (2002, S. 55 ff.) haben in ihrer Studie solche typischen Fehler kategorisiert.
Es ist wichtig zu identifizieren, inwiefern es sich um Merk-, Rechen- oder Verständnisfehler beim halbschriftlichen Addieren handelt. Denn je nach Art des Fehlers und den dahinterliegenden (fehlerhaften) Vorstellungen, müssen diese unterschiedlich aufgearbeitet werden. 

Einige Fehler werden in der folgenden Tabelle exemplarisch im Tausenderraum erläutert, um einen ersten Einblick zu gewähren.

 

1. Verständnisfehler - Anwendung der Umkehroperation

Anstatt zu addieren wird der 2. Summand schrittweise vom 1. Summanden subtrahiert. Das bedeutet, es wird durchgängig die falsche Rechenoperation, nämlich die Umkehroperation, genutzt.

Beispiel:

Halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 497 plus 389: „ 497 minus 300 = 197, 197 minus 80 = 117, 117 minus 9 = 108. 497 plus 389 = 108“.
 

 

2. Verständnisfehler - fehlerhafte Korrektur der Hilfsaufgabe

Die nachträgliche Korrektur der Hilfsaufgabe findet in die falsche Richtung statt.

Beispiel:

Halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 236 plus 298: „236 plus 300 = 536, 536 plus 2 = 538. 236 plus 298 = 538“.
 

 

In diesem Beispiel findet die nachträgliche Korrektur der Hilfsaufgabe in die falsche Richtung statt (+ 298 → + 300; - 2).

 

3. Rechenfehler - ,,Plus-Eins-Fehler''

Zur Ermittlung der Summe der Additionsaufgabe wird ein Zehner überschritten. Analog ist es auch denkbar, dass ein Hunderter überschritten wird. In diesem Zusammenhang ergeben sich oft ,,Plus-Eins-Fehler''.

Beispiel:

Halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 327 plus 166: „300 plus 100 = 400, 20 plus 60 = 80, 7 plus 6 = 12. 400 plus 80 plus 12 = 492. 327 plus 166 = 492“.
 

 

4. Rechenfehler - Vernachlässigung der Stellenwerte

In diesem Beispiel wird bei der zweiten Teilrechnung statt 120 12 als Zwischenergebnis notiert und verrechnet. Der Fehler liegt entweder im Stellenwertverständnis oder einer flüchtigen Notation.

Beispiel:

Halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 245 plus 196: „200 plus 100 = 300, 40 plus 90 = 13, 5 plus 6 = 11. 245 plus 196 = 324“.
 

 

5. Merkfehler

Die Additionsaufgabe wird stellenweise gelöst. Allerdings bleiben Teile des 2. Summanden (hier die Zehner) unberücksichtigt.
Das Vergessen kann ebenfalls die Ermittlung von Zwischenergebnissen betreffen.

Beispiel:

Halbschriftliche Rechnung der Aufgabe 115 plus 117: „100 plus 100 plus 100 = 300, 5 plus 16 plus 17 = 38. 300 plus 38 = 338. 115 plus 116 plus 117 = 338“.
 

Rechne geschickt: Ein Kind - verschiedene Lösungswege

Wie eingangs erwähnt hängt es von der jeweiligen Aufgabe ab, welche Lösungsstrategie besonders sinnvoll ist. Eine Studie von Selter (1999) zeigt, dass beim halbschriftlichen Rechnen etwa 80% der Kinder die Strategien „Stellen extra" und „Schrittweise" verwenden, auch bei Aufgaben, bei denen die Strategien „Hilfsaufgabe" oder „Vereinfachen" häufig geschickter wären (vgl. Aufgabe: 398 + 241)!

Eigenaktivität

Welche der oben genannten Strategien erweisen sich zur Berechnung der folgenden Aufgaben als besonders sinnvoll? Welche erweisen sich wahrscheinlich als problematisch? Warum?

  1. 26 + 25 =
  2. 29 + 12 =
  3. 15 + 15 =
  4. 33 + 49 =
  5. 23 + 45 =
  6. 19 + 39 =

Eigenaktivität

Betrachten Sie die Videos und überlegen Sie: Welche Rechenstrategie wählt das jeweilige Kind aus? Welche besonderen Vorteile oder Schwierigkeiten ergeben sich aus der Wahl der Strategie?

Julius
Annika
Klaus
Timo

Hier können Sie können Sie sehen, wie die Kinder des zweiten und dritten Schuljahres die verschiedenen Aufgaben im Hunderterraum lösen.

Testen Sie Ihr Wissen zu dem Thema in unserem Kira-Check.

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Halbschriftliche Subtraktion
Schriftliche Addition
Addition im Tausenderbuch

 

Materialien zum Thema 'Rechnen auf eigenen Wegen' sowie 'Vom halbschriftlichen zum schriftlichen Rechnen' finden Sie auf der Website des Projekts PIK AS im PIKAS: Fortbildungsmodul: 'Lernen auf eigenen Wegen'.

 

Die meisten Erwachsenen kennen aus der Schule entweder nur die schriftlichen Rechenverfahren oder nutzen im Alltag intuitiv halbschriftliche Vorgehensweisen. Als Lehrperson mit dem Fach Mathematik sollten Sie allerdings die große Vielfalt halbschriftlicher Rechenverfahren kennen und im Unterricht mit Blick auf die individuellen Vorlieben der Lernenden die eine oder andere Strategie thematisieren. Das stellt fachfremd Unterrichtende vor eine große Herausforderung, da sie selbst in ihrer damaligen Schulzeit nur auf die schriftlichen Rechenverfahren eingetrimmt wurden.

Besuchen Sie deshalb die Homepage des Projekts PriMakom („Primarstufe Mathematik kompakt“). Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Selbstlernplattform für Lehrerinnen und Lehrer, die Mathematik fachfremd unterrichten und sich somit fachdidaktische Kenntnisse in kompakter Form aneignen möchten. Dort erhalten Sie kompakte Hintergrundinformationen, sowie unterrichtspraktische Hinweise zu den halbschriftlichen Rechenstrategien in primakom: Inhalte: Zahlen und Operationen: Halbschriftliches Rechnen: Einstieg.

Literatur