Auf dieser Seite geben wir Ihnen nun einige Tipps, wie Sie Ihre Interviews angemessen analysieren und so zu einem ansprechenden Bericht gelangen können.
Kriterien einer guten Analyse
Natürlich gibt es kein Patentrezept zur Erstellung einer guten Analyse. Dennoch beschreiben wir Ihnen im Folgenden Kriterien, die dabei helfen können, Denkwege der Kinder zu analysieren.
Ziel diagnostischer Interviews ist es, etwas über die Denkwege der Kinder beim Lösen bestimmter Aufgaben herauszufinden. Ein bloßes Beschreiben des Vorgehens der Kinder reicht daher nicht aus.
Vielmehr geht es darum, auf kompetenzorientierte Weise das Vorgehen der Kinder einzuordnen und zu hinterfragen sowie begründete Vermutungen aufzustellen, wie Lösungen gefunden wurden, Fehler entstanden sein könnten oder welche Strategien die Kinder genutzt haben.
Analyse statt Nacherzählung
Im Folgenden finden Sie Auszüge aus Analysen bzgl. des Vorwissens von Zweitklässlern zur Multiplikation und Division.
Diese sollen den Unterschied zwischen einer Analyse und einer reinen Nacherzählung verdeutlichen.
Eigenaktivität
Betrachten Sie die folgenden Beispiele einer Detailanalyse (a) sowie einer Zusammenfassung (b).
- In welchem jeweiligen Ausschnitt erfahren Sie mehr über die informellen Vorgehensweisen der Kinder? Woran liegt das?
- Welche Aspekte finden Sie jeweils besonders gut/schlecht?
(a) Beispiele für eine Detailanalyse
Laura schreibt zuerst die Aufgabe 18 : 6 auf. Aber auch auf mein Nachfragen hin, kann sie dazu keine Lösung nennen. Dann hat sie aber eine kluge Idee und malt daraufhin drei Reihen mit jeweils 6 Eiern. Dabei zählt sie immer wieder alles ab, um zu überprüfen, ob sie auch 18 Eier aufgemalt hat. Als sie schließlich fertig war mit Aufmalen, notiert sie unter ihrer Zeichnung die Aufgabe 6 · 3 und schrieb in das Lösungsfeld ebenfalls die 3. Aufgrund der Sicherheit, die sie bislang bei der Bearbeitung der Aufgaben durchgehend gezeigt hatte, scheute ich mich nicht, noch einmal nachzufragen: „Ich verstehe das irgendwie nicht so gut. Kannst Du mir erklären, was du da genau gemacht hast?" Sie zeigt sich sehr geduldig mit mir und erläutert: „Also, wir haben ja gesagt, es sind 18 Eier und in jeden Karton passen immer 6. Dann hab ich immer in eine Reihe 6 Eier gemalt, das ist dann immer wie ein Karton, bis es 18 Eier waren. Und das waren drei Reihen. Also 6 · 3, da hab ich das hingeschrieben.
Laura erkennt in der Aufgabe direkt die Rechnung 18:6. Noch scheint sie die formelle Lösung dieser Aufgabe aber nicht zu kennen - in jedem Fall greift sie auf eine ikonische Lösung zurück, die für eine Aufteilaufgabe wie diese nahe liegt (vgl. Radatz et al 1998, S. 98).
So ist das in der Abbildung zu sehende Rechteck entstanden, indem Laura solange 6er-Reihen aus Eiern malt, bis sie auf 18 kommt. Die Gesamtanzahl überprüft sie dabei zählend. Interessant ist, dass Laura schließlich in ihrer Zeichnung die Aufgabe 6 · 3 erkennt und ihre richtige Lösung für die ursprünglich genannte Divisionsaufgabe über die Umkehraufgabe begründet. Somit deuten sich bei Laura bereits verschiedene Grundvorstellungen der Division an, auf die sie flexibel zurückgreift, um so auch für sie noch unbekannte Divisionsaufgaben geschickt lösen zu können.
(b) Beispiele für eine Zusammenfassung
Zur Lösung der sechs Multiplikationsaufgaben griff Lara auf zwei Hauptstrategien zurück: dem vollständigen Abzählen und der Zuhilfenahme von Verdopplungsaufgaben.
Das vollständige Abzählen, laut Padberg (2004) eine häufig zu beobachtende Vorgehensweise von Kindern bei der informellen Lösung von Multiplikationsaufgaben, wählte sie vor allem dort als Strategie, wo die Anzahl der Einzelteile (kleine Fenster, Puzzelteile) größer wurde.
Lara war sehr fröhlich und gehört zu den leistungsstarken Kindern. Insgesamt zeigte sie großes Interesse an den Aufgaben und löste diese gerne. Dabei hat mich besonders überrascht, wie viel sie schon wusste, obwohl die Multiplikation und Division noch gar nicht in der Klasse besprochen wurden. Alles in allem habe ich viel durch das Interview gelernt.
Folgende Kriterien gelten insbesondere für eine schriftliche Analyse diagnostischer Interviews:
Vorgehen des Kindes auf den Punkt bringen
Strategien einen Namen anstatt das Vorgehen des Kindes umständlich im Detail zu beschreiben. Dabei ist es sinnvoll, die in der Literatur genannten Strategien aufzugreifen.
Vorgehensweisen des Kindes systematisieren und strukturieren.
Herausarbeitung von Hauptstrategien herauszuarbeiten, die Sie mit einzelnen Beispielen und Schülerdokumenten belegen (keine chronologische Abarbeitung von Aufgabe zu Aufgabe). Es ist nicht notwendig, das Vorgehen des Kindes bei jeder einzelnen Aufgabe darzustellen.
Vermeidung von Nacherzählung der Handlungen und Aussagen des Kindes
Auswahl von Inhalten des Gesprächs im Hinblick auf Ihre Forschungsfrage
Belegen der Interpretation
Transkripte und Kinderdokumente als Nachweise einfügen.
Kompetenzorientierung statt Defizitorientierung
Kompetenzorientierung heißt nicht, dass man alles schön reden muss, aber dass man die Leistungen der Kinder im Hinblick auf ihr individuelles Vorwissen und Können zu würdigen weiß.
Kompetenzorientierung heißt ebenso, Fehler nicht nur zu benennen, sondern diese auch zu interpretieren und die richtigen Ideen der Kinder dahinter zu verstehen.
Folgende Beispiele sollen den Unterschied verdeutlichen:
Kompetenzorientierte Analyse
Obwohl Annika die Zahlengitter nicht unbekannt waren, gab es hier schon die ersten Schwierigkeiten, die auch im Laufe des Interviews immer wieder auftraten. Sie addierte zum Beispiel öfter das Feld über der Zielzahl mit dem Feld neben der Zielzahl, um auf die 20 zu gelangen. [...] Von dieser, durchaus auch sinnvollen Interpretation der Zahlengitter (vielleicht hat sie hier die Idee der Rechenkette oder ähnlichen Aufgabenformaten mit einfließen lassen), gibt es leider keine Aufzeichnungen.
Defizitorientierte Analyse
Nick wurde auch aufgefordert die Puzzleaufgaben zu rechnen und bei diesen fiel es ihm sehr schwer, ein Ergebnis zu ermitteln. Er hat versucht sie zählend zu lösen, was ihm leider nicht gelang. Auf die Aufforderung, es doch mal mit Mal zu versuchen, reagierte er nicht. Nick hat versucht, sich die fehlenden Teile einzuzeichnen, ist dabei aber keinem Schema gefolgt. Somit zeigt sich also, dass Nick noch nicht multiplizieren kann.
Kritische Reflektion des Interviewerverhaltens
Wesentlich für die Analyse von Interviews ist es, das eigene Interviewverhalten kritisch zu reflektieren. Dazu gehört zu überlegen, inwiefern
- die Vorgehensweisen des Kindes gegebenenfalls durch das Interviewerverhalten gelenkt wurden,
- das Kind ggf. wenig Chancen hatte, die eigenen Denkweisen zu verbalisieren, oder
- welche weiteren Fragestellungen sinnvoll gewesen wären
- etc.
Eine solche detaillierte und selbstkritische Reflektion ist in der Regel besser möglich, wenn das Interview gefilmt wurde.
Literatur