In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik werden drei Bewertungsnormen unterschieden, die als Maßstab für die Leistungen der Kinder herangezogen werden können:
Die individuelle (oder personenbezogene) Bewertungsnorm: Hier werden die erbrachten Leistungen eines Kindes mit seinem früheren Leistungsstand verglichen, die Leistung wird am persönlichen Lernfortschritt gemessen. Der Verzicht auf normierte Leistungsanforderungen beabsichtigt die Förderung jedes Schülers, ohne dass er sich an den Leistungen anderer messen muss.
Die anforderungsbezogene (oder zielbezogene, kriteriale) Bewertungsnorm: Hier werden die Leistungen des Schülers an gesetzten Anforderungen gemessen. Diese Bewertungsnorm ist gerechtfertigt, wenn die Anforderungen so gesetzt werden, dass alle Kinder diese Ziele mit der notwendigen Förderung erreichen können.
Die vergleichsorientierte (oder sozialbezogene, soziale) Bewertungsnorm: Hier liegt der Bezug in der Leistungsbreite einer Lerngruppe. Alle Leistungen werden miteinander verglichen und in eine Rangfolge gebracht. Der Leistungsstand eines Schülers wird damit abhängig von der zufälligen Zugehörigkeit zu einer Lerngruppe (vgl. Sacher 2009, S. 87 ff).
Die vergleichsorientierte Bewertungsnorm steht in gewisser Weise im Widerspruch zum pädagogischen Leistungskonzept, da sie konkurrenzbestimmtes Lernen fördert, und sollte daher möglichst vermieden werden.
In der Realität spielt sie jedoch immer eine Rolle, denn letztlich leben wir in einer leistungsorientierten Gesellschaft, was auch Kinder schon sehr früh wahrnehmen und was sich dementsprechend auch schon in ihrem Verhalten widerspiegelt (z.B. wenn sie nach der Rückgabe von Klassenarbeiten ihre Punktzahlen oder Noten vergleichen). Auch werden gut bewertete Leistungen in einem sozial schwachen Gebiet sicherlich anders eingeschätzt, als in sozial starken und wohlhabenden Gegenden.
In der Grundschule sollte erst einmal besonders die individuelle Bezugsnorm gelten, ohne dabei die anforderungsbezogene Norm ganz zu ignorieren (vgl. Sundermann & Selter 2006, S. 20). Letztere kommt im Laufe der folgenden Schuljahre ohnehin immer mehr Bedeutung zu, denn Schule hat nun einmal neben der Entwicklungsfunktion auch eine Auslesefunktion (vgl. Umgang mit den Leistungen der Kinder). Dennoch sollte auch in späteren Schuljahren die individuelle Bezugsnorm nie ganz aus dem Blick verloren gehen.
Sacher folgert: „D.h. die Orientierung an der individuellen Norm mag wohl Priorität haben, sie muss aber flankiert werden durch die soziale und kriteriale Norm, wenigstens insoweit, dass die soziale Dimension und die Sachdimension mitbedacht, wenn auch nicht unbedingt zum Maßstab gemacht werden. Auch die individuelle Norm ermöglicht Kooperation und Solidarität, sogar auf eine sehr viel menschlichere Weise als die kriteriale Norm: Hier müssen nicht alle dieselben Ziele erreichen. Man kann einander dabei helfen, die je spezifischen eigenen Möglichkeiten zu verwirklichen" (Sacher 2009, S. 91).