3. Hintergrundwissen zum entdeckenden Lernen
Lehren in der Schule geschieht häufig in der Annahme, der Stoff würde von den Lernenden so aufgenommen und gespeichert werden, wie er dargestellt wird. Guter Mathematikunterricht - so eine weit verbreitete Ansicht - zeichne sich vor allem dadurch aus, dass der Lehrer gut erklären kann. Entsprechend würden vermutlich viele Personen Beispiel1 (siehe oben) für besonders gelungen halten.
Der Lehrer gibt das Ziel des Lernens vor und erfragt die Lösung Schritt für Schritt. Die Schüler folgen dem "Frage-Antwort-Spiel" und antworten der Reihe nach auf die vom Lehrer gestellten Fragen. "Mit dieser Kleinschrittigkeit soll Kindern das Lernen erleichtert und der Unterricht ökonomisiert werden" (Brüggelmann 2001, S. 54).
Diese Annahme erweist sich - wie wir aus der Lernpsychologie wissen - jedoch als problematisch (vgl. Wahl; Weinert & Huber 2001, S. 46 f). Selbst wenn aktives Zuhören gewährleistet ist, so bedeutet dies noch längst nicht, dass die Kinder den Gedankengängen des Lehrers oder der Lehrerin auch (inhaltlich und sprachlich) wirklich folgen können und deren Erläuterungen verstehen.
Darüber hinaus werden die aufgenommenen Wissensinhalte nicht fest in das eigene Wissen integriert, sodass lediglich träges Wissen entsteht (vgl. Renkl 1996). Träges Wissen kann nur in einer der konkreten Unterrichtssituation sehr ähnlichen Situation angewandt werden, jedoch nicht auf veränderte Situationen übertragen werden (vgl. Schütte 2008, S. 51).
Demgegenüber steht der Unterrichtsstil im zweiten Beispiel. Nach einer kurzen Klärung des Arbeitsauftrages müssen die Kinder die Aufgabenstellung selbstständig lösen. Sie erhalten die Möglichkeit sich ohne ständige Zwischenfragen der Lehrkraft und ein vorgegebenes kleinschrittiges Vorgehen mit dem Problem auseinanderzusetzen.
Die Kinder sind aufgefordert sich selbst Gedanken zu machen, wie sie die Aufgabe lösen können. Dazu müssen sie auf ihr bereits erworbenes Wissen zurückgreifen und dieses auf die gegebene Aufgabe übertragen. Die Lehrkraft nimmt sich bewusst zurück und gibt der Eigendynamik des Lösungsprozesses Raum. Hierdurch kann durch die aktive Wissenskonstruktion vernetztes Wissen entstehen.
Hinter den beiden Beispielen stecken zwei verschiedene Auffassungen vom Lehren und Lernen (vgl. Winter 1991). Die erste - heute zumindest bezogen auf das schulische Lernen als veraltet geltende - Sichtweise geht davon aus, dass Lernen durch eine passive Aufnahme von Wissen vollzogen werden kann (= passivistische Grundposition des Lernens). Die andere geht davon aus, dass Lernen ein subjektiver, aktiv-entdeckender und konstruktiver Prozess ist (= aktivistische Grundposition des Lernens).
Aber warum gilt die erste Sichtweise eigentlich als veraltet? Um verständiges Wissen aufzubauen, muss das Individuum in enger Anlehnung an den Konstruktivismus eigenaktiv die Zusammenhänge erforschen, erfahren und damit selbst entdecken. Dabei konstruiert es seine Wirklichkeit aufgrund von seinen Erfahrungen mit der Außenwelt und in der Kommunikation mit anderen.